Ahmed war Model, nun ist sie Influencerin des Islamischen Zentralrats. Porträt einer Frau im Spannungsfeld zwischen Kopftuch, Tiktok und Polygamie.
Erschienen in der NZZ am 13. Juni 2023
Sie ist Influencerin des Islamischen Zentralrats (IZR), der wohl radikalsten öffentlich tätigen muslimischen Organisation in der Schweiz. Maimouna Ahmed, 28 Jahre alt, dreht Videos zum Thema Glauben, moderiert Youtube-Talkrunden zu Wokeness oder Rassismus oder befragt Passanten auf der Strasse zum Ramadan.
Maimouna Ahmed fragt Jugendliche, ob Sex während des Ramadans verboten sei. Ob menstruierende Frauen fasten müssten. Sie kennt die Antworten. Aber sie will ins Gespräch kommen. Ins Gespräch über den Islam.
Ahmed hat in der Schweiz eine gewisse Bekanntheit erlangt, wurde mehrfach porträtiert, bekommt viel Aufmerksamkeit. Die Videos zum Ramadan gehen auf Tiktok viral. Ahmeds Entlöhnung: 300 000 Klicks, 250 Kommentare, 15 000 Herzchen.
Die Videos sind Ahmeds Art, sich gegen das Bild der unterdrückten muslimischen Frau zu wehren. Sie sei meinungsstark und offen und gläubig, sagt sie. Und der IZR gebe ihr die Plattform, um diese Haltung in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Manuela Frey gewann
Dass Maimouna Ahmed dereinst für den Islamischen Zentralrat vor der Kamera stehen würde, war in ihrer Kindheit und Jugend nicht abzusehen. Sie wuchs in Lyss im Kanton Bern auf, und schon in der Handelsmittelschule begann sie mit dem Modeln. Das Reisen, das Geld, die Aufmerksamkeit hätten ihr gefallen. Bald stand sie bei einer Modelagentur unter Vertrag – und mit 17 Jahren im Finale des wichtigsten Modelwettbewerbs der Schweiz: des Elite Model Look Switzerland.
In der «Schweizer Illustrierten» präsentierte sich Maimouna Ahmed mit hochgestecktem Haar, kurzer Hose und Schmollmund. Dem «Blick am Abend» sagte sie, sie wolle in zehn Jahren für grosse Marken wie Yves Saint Laurent laufen oder Designerin werden. Oder Kinderchirurgin. Ihr grosses Vorbild: das Model Iman Abdulmajid, Somalierin wie Ahmeds Mutter.
Am Elite Model Look Schweiz 2012 wurde Maimouna Ahmed Vierte, den Sieg holte sich Manuela Frey, die heute ein weltbekanntes Model ist. Ahmed schloss ihre Berufsmatura ab. Ein Jahr später trug sie Kopftuch und kündigte ihren Vertrag bei der Modelagentur. «Ich wollte nicht mehr auf mein Äusseres reduziert werden», sagt Ahmed. Und: Das Model-Business in der Schweiz sei nicht bereit gewesen für dunkelhäutige Frauen.
Fremd und vertraut
Maimouna Ahmed erlebte damals eine Identitätskrise. So erzählt sie es heute. Schule und Modeln waren zwar ein Spass, aber nicht sinnstiftend. Als ihre ältere Schwester zu beten begann, beschäftigte sich auch Maimouna Ahmed intensiver mit ihrem Glauben. Sie habe sich existenzielle Fragen gestellt. Und Antworten darauf im Islam gefunden, der ihr vertraut und zugleich fremd war. Die Gebete, die Rituale kannte sie. Doch die vielen Regeln schreckten sie ab.
Nach ihrer Berufsmatura reiste Maimouna Ahmed für die Zeit des Ramadans zu Verwandten nach Dubai. Und erlebte dort eine Gemeinschaft, die ihr Leben selbstverständlich und mühelos nach dem Islam ausrichtete. Ahmed dachte sich: Das kann ich auch.
Wenige Monate später, zurück in Lyss, entschied sich Ahmed, das Kopftuch zu tragen. Und das Modeln aufzugeben.
Für die Eltern war es schwierig. Sie fürchteten Ablehnung, Nachteile bei der Jobsuche. Ahmed war Diskriminierung gewohnt. Als dunkelhäutige Frau musste sie sich immer Witze über ihre Hautfarbe anhören. Doch auf die Aggressivität und die negativen Kommentare, die sie als Kopftuchträgerin im Alltag erleben sollte, war sie nicht vorbereitet. Seit sie ihre Haare bedecke, werde sie häufig auf Hochdeutsch angesprochen. Und: «Das Kopftuch sehen viele als Freipass, mich zu schubsen, mich anzufassen oder mich anzupöbeln.»
Ahmed fühlte sich ausgeschlossen, missrepräsentiert in der Öffentlichkeit. Über Jahre suchte sie in der Schweiz nach einer muslimischen Gemeinschaft, wie sie sie in Dubai erlebt hatte. Sie habe Dutzende Vereine und Moscheen besucht, sagt sie. 2016 stiess sie auf Facebook auf eine Veranstaltung des IZR. Hunderte Muslime aus der ganzen Schweiz versammelten sich im World Trade Center in Zürich. Das habe sie umgehauen, sagt Ahmed. Und dass dort auch Frauen mitbestimmten, Kopftuchträgerinnen wie sie.
Freunde unter sich
Einst respektiert, später sogar gefürchtet, kämpft der Islamische Zentralrat heute im virtuellen Raum gegen die Irrelevanz. Die Zeiten, als der IZR zu allen Belangen, die Muslime tangierten, ans Mikrofon gebeten wurde, sind längst vorbei.
Nach der Annahme der Minarettinitiative im Jahr 2010 hatte die Organisation als eine der wenigen die Wut und Ohnmacht der Muslime ungefiltert zum Ausdruck gebracht. Gegen aussen gab sich die Organisation offen, breit abgestützt, tolerant. Ein Sprachrohr der Muslime wollte man sein. Mit provokativen und konfrontativen Auftritten verschaffte sich der IZR in kurzer Zeit einen direkten Draht zu den Medien und zu jungen Muslimen, die Anschluss suchten. Jungen Muslimen wie Maimouna Ahmed.
Heute ist der IZR in der Öffentlichkeit kaum mehr präsent. Die angeblich schweizweit agierende Basisorganisation des IZR entpuppte sich als verfilzte, ultrakonservative Freundesgruppe. Der Verein will einen auf die Schweiz angepassten Islam vertreten, lässt sich aber von Geldgebern aus den Golfstaaten mitfinanzieren. Deswegen stand der Verein schon 2011 unter Beobachtung des NDB.
Der IZR hat sich oftmals von IS oder al-Kaida distanziert. Aber 2015 schwieg der IZR zu den Terroranschlägen in Paris und veröffentlichte kurz darauf ein Video-Interview mit dem islamistischen Kleriker Abdullah al-Muhaysini, der al-Kaida zugeordnet wird. Mehrere IZR-Mitglieder wurden deswegen wegen Terrorpropaganda vor dem Bundesgericht verurteilt, zuletzt der Präsident Nicolas Blancho und der Mediensprecher Qaasim Illi. Der IZR und Maimouna Ahmed sprechen von «politischen Schauprozessen». Blancho und Illi haben ihr Amt nach wie vor inne. Wie für viele der Gründungsmitglieder ist für sie der IZR ein Lebensprojekt, die wichtigste oder einzige Einnahmequelle.
Ahmed hingegen hat sich ein Leben neben dem IZR bewahrt, ihre alten Freunde, die Familie. Das ist für viele IZR-Mitglieder nicht selbstverständlich. Ihr Geld verdiente Ahmed bis anhin im kaufmännischen Bereich. Doch nun will sie einen Traum angehen, den sie schon als Teenager verfolgte. Sie besucht die Passerelle und will bald Medizin studieren und Psychiaterin werden.
Diversity, Pluralismus und Sex
Maimouna Ahmed präsentiert sich in der Öffentlichkeit als selbstbestimmt, offen. Sie sagt von sich, dass sie für Dialog und Pluralismus kämpfe. Bei der Auswahl ihrer Protagonisten in Interviews auf «Diversity» achte. Alle Themen, die irritieren könnten, behält Ahmed zurück. Wie sie die Geschlechterrollen im Privaten auslebt. Dass sie Polygamie billigt. Dass sie unschlüssig ist, ob sie fremden Männern die Hand geben soll. Ihre Privatsphäre sei ihr wichtig. Wie genau sie den Islam auslebe, sei für ihre Arbeit als Influencerin nicht entscheidend.
Maimouna Ahmed sagt, sie sei meinungsstark. Und doch ist da eine Angst in ihr, für ihre Ansichten verurteilt zu werden. Vor allem von jenen, bei denen sie Anschluss fand: den ultrakonservativen Muslimen.
Vor zwei Jahren reiste Ahmed mit Nicolas Blancho, Qaasim Illi und der IZR-Generalsekretärin Ferah Ulucay nach Amsterdam und streamte ein Video auf Facebook. Sie sprachen über Sexualität im Islam. Sie hätten gerade einen muslimischen Bruder aus dem Bordell laufen sehen, sagten sie. Sie wollten erklären, wie Sexualität halal gehe, also islamkonform, im Rahmen der Ehe. Blancho forderte die Frauen auf, doch «alle Formen der oralen Befriedigung» zu erlernen, weil dies seines Erachtens «der Wunsch jeden Mannes» sei. Ulucay riet den Männern, den Frauen doch ihren Lieblingskuchen zu backen, um sie von ihren Vorlieben im Bett zu überzeugen. Und Maimouna Ahmed hatte einen Tipp, falls es mit der einen Frau nicht klappen sollte: «Vielleicht erklärt sich eine andere Frau bereit.»
Ahmed sagt, sie habe mit dem Video ein Tabu brechen wollen. Doch statt eines Dialoges löste der Livestream Empörung in der ultrakonservativen Szene aus, bei den Salafisten, dort, wo der IZR noch Unterstützung fand.
Viele Experten sehen den IZR selbst als salafistische Organisation, wegen seiner Verbindungen zur salafistischen Szene im deutschen Raum und weil seine Mitglieder eine wortwörtliche Auslegung des Korans propagieren. Aus Koran und Sunna leiten sie ab, was sie essen, wie sie sich kleiden, wen sie berühren.
«Ich soll eine Salafistin sein? Da sträuben sich mir die Nackenhaare», sagt Ahmed. Das Video zeige gerade, dass der IZR nicht zu diesem Spektrum zähle. Die Kritik hat Ahmed dennoch über Monate beschäftigt. Seither scannt sie die Kommentare und Nachrichten nach konstruktiver Kritik. Die anderen liest sie gar nicht mehr. Und muss es auch nicht: Für das Beantworten der Kommentare sind andere zuständig.
Und so kann sich Ahmed auf jene konzentrieren, die sie so sehen wie sie sich selbst: als offene, meinungsstarke muslimische Frau.
Erschienen in der NZZ am 13. Juni 2023