Twitter will einen zweiten Haken einführen. Doch woher stammt überhaupt die Idee der Verifizierung? Und was hat Shaquille O’Neal damit zu tun?


Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, wird über das weisse Häkchen gestritten. Aber wie kam das Gütesiegel für verifizierte Konten überhaupt zustande?

Erschienen in der NZZ am 9. November 2022

Elon Musk, der neue Besitzer von Twitter, sucht wegen weglaufender Werbekunden händeringend nach neuen Einnahmequellen. Vor kurzem hat er darum entschieden, dass man das bekannte weisse Häkchen auf blauem Hintergrund, das die Identität eines Nutzers verifizieren soll, kaufen kann – für acht Dollar im Monat, im sogenannten Twitter-Blue-Abo.

Doch woher kommt der weisse Haken überhaupt? Und weshalb sollen Twitter-User nun knapp hundert Franken im Jahr für ein kleines Symbol zahlen? Die Antwort findet sich in der 13-jährigen Geschichte des Hakens. Am Anfang war – wie könnte es anders sein – ein Tweet.

«Das ist der echte Shaquille O’Neal», schrieb der amerikanische Basketballspieler im November 2008 in seinem ersten Beitrag auf der Plattform, die damals noch ein hellblauer Schriftzug und kein Vögelchen zierte.

Mit dem Tweet wollte O’Neal einem Betrüger das Handwerk legen. Monate zuvor war ein gefälschtes Profil aufgetaucht, dessen Urheber sich als O’Neal ausgab und in Hunderten von Tweets O’Neals Rede täuschend echt imitierte.

Hinter dem Fake-Profil steckte ein Fan von O’Neals Basketballteam Phoenix Suns. Er sagt der «New York Times» damals: Täuschen hätte er damit niemanden wollen, er habe das Profil zu Unterhaltungszwecken geführt. Immer wieder habe er Hinweise in die Tweets eingebaut, dass nicht der echte O’Neal hinter den Nachrichten stecke. Seinen Followern sei das bewusst gewesen.

Kritik wegen Intransparenz und Sicherheitslücken

Der Fall stiess bei Twitter eine Diskussion an. Wie kann die Plattform den Persönlichkeitsschutz sicherstellen und gleichzeitig Raum für Parodie und humoristische Doppelgänger lassen? Einige Monate und viele Beschwerden weiterer Prominenter später stand das Verifikationssystem von Twitter. Im Juni 20o9 wurde der weisse Haken eingeführt.

Der Haken war zunächst nur für Personen zugänglich, deren Profile Betrügern besonders attraktiv erschienen; für Politiker, Künstler, wichtige Behörden. Später konnten Unternehmen und Marken sich mit dem weissen Haken schmücken. Das Emblem setzte sich als Gütesiegel für Authentizität durch und wurde von anderen sozialen Netzwerken übernommen.

Die Kritik blieb nicht aus: Der Verifikationsprozess sei intransparent und fehleranfällig, hiess es. 2020 zeigte sich, wie leicht das System zu täuschen war: Ein amerikanischer Schüler gab sich im Frühjahr vor den Wahlen auf Twitter als ein Politiker aus, der gar nicht existierte – inklusive des weissen Hakens im Profil.

Im selben Jahr wurden in einem Hackerangriff Hunderte Profile von Prominenten angegriffen, darunter auch jenes von Elon Musk. Die verifizierten Accounts wurden darauf aus Sicherheitsgründen temporär deaktiviert – was schadenfreudige Reaktionen auslöste.

Twitter gelobte Besserung. Das Unternehmen reformierte den Verifikationsprozess und machte Kriterien fest: Authentisch, bedeutsam und aktiv sollen die Trägerinnen und Träger des Hakens sein. Wer etwas auf sich hielt, zierte sein Profil fortan mit dem Emblem.

Musk braucht die Masse statt die Elite

Mit Elon Musk beginnt nun ein weiteres Kapitel. Kaum war die Übernahme vollzogen, versuchte Musk aus dem Haken Kapital zu schlagen. Dafür vollzog er eine Kehrtwende: Die Verifizierten müssen neu nicht mehr bedeutsam, dafür zahlungswillig sein. Möglichst viele Menschen sollen künftig Zugang zum weissen Haken erhalten. Doch wollen sie das überhaupt?

Auf Twitter ist das Angebot bisher auf wenig Anklang gestossen. Als Musk von einem seiner Mitarbeiter eine Umfrage durchführen liess mit der Frage «Wie viel würden Sie für den weissen Haken bezahlen?», gab jeder vierte Nutzer zu verstehen: Keinen Cent würde er dafür ausgeben wollen.

Kam es darum zur nächsten Kehrtwende? Twitter will nun nämlich ein neues Siegel einführen, wie das Unternehmen in der Nacht auf Mittwoch mitteilte. Accounts von Unternehmen, Regierungen, Medien und Prominenten sollen künftig mit einem grauen Häkchen auf weissem Hintergrund gekennzeichnet werden, ergänzt um das Wort «Official». Es kann nicht gekauft werden.

Erschienen in der NZZ am 9. November 2022


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert